Lucerne, 22.3.2023 – Address by Anne Lévy, FOPH Director, at Trendtage Gesundheit «Psycho + Somatik – Wechselwirkung im Fokus», in Luzern, 22 March 2023 – Check against delivery.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Anwesende,
Sehr geehrter Herr Regierungsrat Guido Graf
Ich freue mich sehr, dieses Jahr wieder hier zu sein.
Schon auch ein bisschen wegen dem schönen Luzern mit seinem eindrücklichen See. Aber eben auch, weil die Trendtage Gesundheit zu einem Fixpunkt in der Agenda zahlreicher Gesundheitsakteure geworden sind.
So auch in meiner.
Ich bin auch deswegen gerne gekommen, weil das diesjährige Thema äusserst relevant ist.
Gerade wenn man zwei – oder mehr – Disziplinen zusammenführen will, ist eine gute Koordination der Behandlungen zentral.
Die bessere Verbindung zwischen somatischer und psychischer Gesundheit ist hier ein wichtiges Thema.
Wie bei der Einführung erwähnt, war ich früher CEO einer psychiatrischen Universitätsklinik. Die Bedeutung der Wechselwirkung zwischen Psycho und Somatik konnte ich in dieser Zeit hautnah erleben.
Es gibt keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit, wie die WHO zurecht sagt.
Ich bin daher froh, dass diese Wechselwirkung in der öffentlichen Diskussion und politischen Wahrnehmung mehr Gewicht erhält.
Dieser Fokus ist wichtig:
Für die Qualität der Gesundheitsversorgung.
Für die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten.
Und für unser Gesundheitswesen.
Damit integrierte Ansätze zur Regel werden, braucht es eine gute Koordination der Behandlungsangebote.
Kennen Sie den Ausdruck «For a hammer – everything is a nail»?
Was will ich damit sagen: Nicht jede Chirurgin denkt bei einem Patienten mit chronischen Rückenschmerzen zuerst an eine Schmerztherapie. Je nach Fall, ist den Betroffenen jedoch mit einer Schmerztherapie, zu der in der Regel auch eine Physiotherapie gehört, besser gedient. Weil die Psyche so lernen kann, mit dem Schmerz zu leben. So kann erwiesenermassen bei einem Teil der Patientinnen und Patienten auf einen chirurgischen Eingriff verzichtet werden. Dies ist insbesondere wichtig, weil jede Operation immer auch Risiken birgt.
Um wieder zum Bild des Hammers zurückzukehren: Wir müssen die Möglichkeit schaffen, dass sich immer mehrere Werkzeuge in der Werkzeugkiste befinden.
Hier setzen die Netzwerke zur koordinierten Versorgung an, die der Bundesrat fördern will. Er hat dies dem Parlament letzten Herbst im Rahmen des Kostendämpfungspakets II unterbreitet.
Die Grundidee dieser Netzwerke ist, dass sich zum Beispiel Hausarzt, Spitex, Psychotherapie, Physiotherapie, Pflege und weitere ambulante Leistungserbringer zu einem Netzwerk zusammenschliessen und die Behandlung ihrer Patientinnen und Patienten gemeinsam übernehmen und koordinieren. Wir erfinden hier nichts Neues: es gibt bereits ambulante Praxen, die das so leben. Wir wollen aber, dass sich dieses gute Modell in der ganzen Schweiz verbreitet.
Was meinen wir damit? Warum sind wir überzeugt, dass für gewisse Behandlungen die Qualität so gesteigert werden kann?
Stellen Sie sich eine Patientin vor, die wegen Diabetes sowie wegen den Nachwirkungen eines Schlaganfalls, chronischer Müdigkeit und starken Rückenschmerzen bei mehreren Spezialisten gleichzeitig in Therapie ist.
Nennen wir sie Frau Meier.
Stellen Sie sich nun vor, wie kompliziert es für Frau Meier und ihre Angehörigen ist, den Überblick über alle Therapien und Medikamente zu behalten, die ihr verschrieben worden sind.
Aber auch für jede Gesundheitsfachperson, die am Behandlungsprozess beteiligt ist, gibt es einen enormen Koordinationsaufwand. Die nötige Vernetzung braucht Zeit. Vor allem dann, wenn sie erst noch etabliert werden muss.
Ein Netzwerk zur koordinierten Versorgung kann Abhilfe schaffen, weil Frau Meier hier immer dieselben Ansprechpersonen hat, die miteinander im direkten Austausch sind. Diese unterstützen Frau Meier bei der Abstimmung der Therapien und bei der Überwachung ihres Medikationsplans. Sie stellen zudem sicher, dass allfällige, von den Spezialisten verordnete Diagnoseverfahren, koordiniert erfolgen, wie beispielsweise aufwendige Untersuchungen der Blutwerte oder Röntgenaufnahmen.
Die Krankengeschichte von Frau Meier wird elektronisch erfasst, so dass auch die angeschlossene SPITEX-Pflegefachperson jederzeit nachschauen kann, ob die Medikationsliste noch aktuell ist oder ob sich das Therapiesetting verändert hat.
Auch das Elektronische Patientendossier EPD wird hier einen wertvollen Beitrag leisten.
Damit Frau Meier auch selber den Überblick behält. Oder wenn sie das will, ihre Angehörigen oder Gesundheitsfachpersonen ausserhalb des Netzwerks, über ihre Behandlungen Bescheid wissen.
Ich bin überzeugt: Solche Versorgungsmodelle sind eine gute Ergänzung zu bereits bestehenden Modellen.
Neu ist, dass alle Beteiligten als ein Leistungserbringer abrechnen können.
Das wird den viel beklagten administrativen Aufwand der Ärztin oder der Pflegefachperson verkleinern. Hier gute Lösungen zu finden, ist wichtig.
Es gibt immer mehr ältere Menschen, die gleichzeitig an mehreren chronischen Krankheiten leiden. Zudem werden immer mehr Behandlungen ambulant durchgeführt. Das ist richtig und wichtig, da stimmen wohl alle hier im Raum zu.
Je besser die ambulanten Behandlungen koordiniert sind, desto mehr Ressourcen können freigespielt werden. So stehen mehr Mittel zur Verfügung und die Gesundheitsakteure können sich auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren.
Also weniger Zeit am Computer, mehr Zeit am Patienten.
Soviel zum Vorschlag des Bundesrats.
Aber was hat das nun mit dem Tagungsthema «Psycho + Somatik – Wechselwirkung im Fokus zu tun?»
Schon heute arbeiten viele Gesundheitsfachpersonen eng und konstruktiv zusammen. Auch, eine konservative Therapie mit Psychosomatik zu kombinieren, ist bereits mancherorts gelebte Wirklichkeit. Und Teil unseres qualitativ hochstehenden Gesundheitssystems.
Vieles wird bereits sehr gut gemacht.
In dem Zusammenhang ebenfalls erwähnenswert ist der «smarter medicine»-Ansatz. Eine Initiative aus der Fachwelt, die sich für Medizin mit Augenmass einsetzt. Der Verein, der dafür einsteht, sensibilisiert dafür, dass nicht alle Behandlungen und Abklärungen, die medizinisch möglich sind, auch gut für den Patienten sind. «smarter medicine» war übrigens auch das
Tagungsthema der Trendtage Gesundheit 2018.
In den letzten fünf Jahren hat sich dieser Ansatz bereits gut etabliert.
Auch die Wissenschaft bestärkt uns darin, dass bessere Koordination, stärkere interdisziplinäre Zusammenarbeit und patientenorientierte Ansätze vielversprechend sind. Dies zeigen die Ergebnisse des kürzlich beendeten Nationalen Forschungsprogramms NFP74 mit 34 Projekten zur Gesundheitsversorgung.
Das BAG setzt auf eine evidenzbasierte Gestaltung der Gesundheitspolitik. Deshalb ist die Versorgungsforschung für uns ein wichtiger Baustein. Und wir werden uns in diesem Bereich zusammen mit den Institutionen der Forschungsförderung auch zukünftig engagieren.
Drei Projekte des erwähnten Nationalen Forschungsprogramms, NFP74, illustrieren das bisher Gesagte und stützen die Bestrebungen für eine bessere Koordination in der Versorgung.
In den Berner Gemeinden Münsingen und Belp sowie im Zürcher Obfelden und in Zürich-Schwammendingen haben Forschende in enger Zusammenarbeit mit den Gemeindebehörden Sorgenetzwerke aufgebaut. In diesen engagieren sich beispielsweise die lokale Spitexorganisation, die Kirchgemeinde, Nachbarschaftsorganisationen oder Privatpersonen gemeinsam dafür, dass ältere Menschen trotz gesundheitlichen Einschränkungen länger zu Hause wohnen können.
Dieser Ansatz steht für eine übergeordnete Empfehlung aus dem NFP74: Der Einbezug des gesamten Lebenskontexts der Patientinnen und Patienten ist wichtig und sollte gefördert werden.
In einem weiteren Projekt, das in 58 Alters- und Pflegeheimen in den Kantonen Fribourg und Waadt durchgeführt wurde, nahmen sich Pflegefachpersonen, Ärzteschaft sowie Apothekerinnen und Apotheker dem Problem der Polymedikation und des unangemessenen Medikamenteneinsatzes in Pflegeheimen an. In berufsübergreifenden Qualitätszirkeln haben sie die Möglichkeiten und Grenzen der Absetzung von Medikamenten ausgelotet und so erfolgreich Medikationspläne anpassen können.
Ein Projekt aus dem Tessin hat Wirksamkeit und Kosten der psychiatrischen Betreuung zu Hause und der stationären Standardbehandlung verglichen. Die Studienergebnisse zeigen, dass das Hometreatment in vielen Fällen eine wirksame Alternative zu einem Klinikaufenthalt ist. Überzeugt haben insbesondere der patientenorientierte Ansatz sowie die koordinierte Zusammenarbeit bei der Betreuung zu Hause.
Die Forschung beweist also, was Fachpersonen schon lange wissen: koordinierte Versorgung ist effizient und effektiv.
Wir stehen vor grossen Herausforderungen, die innovative und mutige Änderungen bedürfen.
Wichtig ist mir, dass wir gemeinsam gute Lösungen finden.
Zum Wohl der Patientinnen und Patienten.
Zum optimalen Zusammenspiel der Gesundheitsakteure.
Für eine noch besseren Qualität in der Versorgung. Aber eben auch in der Prävention von Unfällen und Krankheiten.
Wir brauchen Lösungen, die dem Umstand Rechnung tragen, dass die Menschen in unserer Gesellschaft immer älter werden und dadurch häufiger an chronischen Krankheiten leiden.
Wir müssen das Rad dafür nicht völlig neu erfinden. Vieles wird – wie erwähnt – schon erfolgreich umgesetzt!
Orientieren wir uns darum noch stärker an den erfolgreichen Beispielen. Und entwickeln wir sie im Sinne einer patientenorientierten Versorgung clever weiter.
Zum Wohl der Menschen in unserem Land, die auf ein gutes Gesundheitssystem angewiesen sind.
Ich danke allen, die dazu beitragen!
Last modification 15.06.2023
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