In den letzten Jahren haben verschiedene Länder ihre Drogenpolitik neu ausgerichtet. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat eine drogenpolitische Standortbestimmung vorgenommen und Perspektiven für die Weiterentwicklung der Drogenpolitik aufgezeigt.
Seit den 90er-Jahren hat sich das Drogenkonsumverhalten mit dem Aufkommen von sogenannten Freizeitdrogen verändert. Das bewährte Vier-Säulen-Modell der Drogenpolitik muss daher an die aktuellen Herausforderungen angeglichen werden. Handlungsbedarf besteht in erster Linie im Bereich Cannabis. Im Hinblick auf das Heilmittelpotenzial stellt sich zudem die Frage, ob der medizinische Zugang zu Cannabis ausreichend gewährleistet ist.
Der Bundesrat hat in seinem Bericht vom April 2021 - in Erfüllung des Postulats 17.4076 von Paul Rechsteiner - die aktuelle drogenpolitische Situation dargelegt und Massnahmen für die nächsten Jahre beschlossen.
Das Ziel der Drogenkontrollübereinkommen der UNO, durch internationale Verbote und eine strikte Kontrolle den Missbrauch von Betäubungsmitteln zu verhindern und gleichzeitig deren medizinische Anwendung zu ermöglichen, konnte bis heute nicht erreicht werden. In den letzten Jahren haben verschiedene Länder ihre Drogenpolitik deshalb neu ausgerichtet: Diverse Staaten haben den Drogenkonsum entkriminalisiert, den Zugang zur medizinischen Anwendung von Cannabis erleichtert oder Cannabis zu Genusszwecken legalisiert.
Die nationalen und internationalen Erfahrungen mit der Regelung von legalen und illegalen Suchtmitteln deuten darauf hin, dass die sozialen und gesundheitlichen Kosten des Substanzkonsums bei einer strikten Prohibition und bei einem völlig liberalisierten legalen Suchtmittelmarkt am höchsten ausfallen (vgl. Abb. 1). Dazwischen gibt es eine Vielzahl an Regelungsmodellen, wie die Entkriminalisierung des Substanzkonsums oder eine strikte Marktregulierung, die einen besseren Gesundheitsschutz und geringere Kosten für die Gesellschaft mit sich bringen dürften.
Das Suchthilfe- und Suchtbehandlungsangebot ist in der Schweiz insgesamt qualitativ hochstehend. Es bedarf jedoch vermehrter Anstrengungen, um einen gleichwertigen Zugang zu einer adäquaten Betreuung und Behandlung in allen Kantonen zu gewährleisten:
- Regionale Unterschiede existieren bei den niederschwelligen Angeboten der Schadensminderung, v.a. im Bereich des Freiheitsentzugs.
- Diese Unterschiede hängen auch mit unterschiedlichen Finanzierungsstrukturen in den Kantonen zusammen.
- Aus der zunehmenden Alterung der Personen, die sich in einer heroingestützten Behandlung befinden, ergeben sich neue Behandlungsbedürfnisse.
Seit der Auflösung der offenen Drogenszenen hat sich das Drogenkonsumverhalten deutlich verändert. Heute steht vor allem der weitverbreitete Cannabiskonsum im Vordergrund. Aber auch andere sogenannte Freizeitdrogen haben an Bedeutung gewonnen. Meist geht es dabei nicht um schwere Formen der Abhängigkeit, aber um situationsunangepassten, exzessiven Konsum oder Mischkonsum von psychoaktiven Substanzen und Alkohol.
Es braucht neue Ansätze, um die Konsumierenden besser mit Angeboten der Prävention und Schadensminderung zu erreichen und einen risikoreichen Konsum frühzeitig zu erkennen.
Die Bestimmungen zum Jugendschutz wurden mit der Teilrevision des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG) von 2008 deutlich verschärft. Der Konsum von psychoaktiven Substanzen unter Jugendlichen lässt sich jedoch allein mit Abgabe- und Konsumverboten nicht verhindern.
- Ergänzend zum gesetzlichen Jugendschutz bedarf es einer Stärkung der Früherkennung und Frühintervention bei gefährdeten Jugendlichen.
- Die frühzeitige Gesundheitsförderung bei allen Kindern muss verbessert werden, bereits im Vorschulalter.
Die rechtliche Grundlage für die schweizerische Drogenpolitik bildet das Betäubungsmittelgesetz vom 1. Juni 1952. Bestimmte Aspekte des Gesetzes stehen im Gegensatz zu gewissen gesellschaftlichen Realitäten und erzeugen Herausforderungen im Vollzug:
- Das Betäubungsmittelgesetz (BetmG) unterscheidet im Gegensatz zur Nationalen Strategie Sucht 2017 – 2024 nicht zwischen risikoarmem und problematischem Konsum und ist einseitig auf die Abhängigkeitsproblematik ausgerichtet.
- Durch die Strafverfolgung von Konsumierenden und die Ungleichbehandlung von Betäubungsmittel- und Alkoholkonsum im Strassenverkehr werden auch risikoarm konsumierende Bevölkerungsteile kriminalisiert.
- Die Analyse von verbotenen Substanzen im Rahmen von sogenannten Drug Checking-Angeboten ist gesetzlich nicht klar geregelt.
- Mit der zunehmenden Erforschung des Heilmittelpotentials von verbotenen Betäubungsmitteln stellt sich die Frage, ob deren Verbot auch zu medizinischen Zwecken noch angemessen ist und deren medizinische Nutzung nicht unnötig erschwert.
- Die gesetzlichen Grundlagen zur Gesundheitsförderung und Prävention sind in unterschiedlichen Spezialgesetzgebungen (BetmG, Tabaksteuergesetz, Alkoholgesetz, Geldspielgesetz u. a.) geregelt, was eine konsequente substanzübergreifende Präventionsstrategie und deren Finanzierung erschwert.
Der Bundesrat schlägt eine schrittweise Überprüfung der Drogenpolitik vor:
- Am Vier-Säulen-Modell der Drogenpolitik soll grundsätzlich festgehalten werden.
- Das veränderte Drogenkonsumverhalten erfordert neue Antworten.
- Die vorliegenden wissenschaftlichen Grundlagen sind noch ungenügend für eine evidenzbasierte grundsätzliche Neuausrichtung des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG).
- Der grösste Handlungsbedarf besteht im Bereich Cannabis. Hier sollen medizinische und nicht medizinische Verwendung getrennt geregelt werden.
- Im Kontext einer suchtformübergreifenden Prävention soll ein verstärkter Fokus auf die Jugendlichen gelegt werden.
Um die Herausforderung anzugehen, schlägt der Bundesrat 21 Massnahmen in folgenden sechs Handlungsfeldern vor:
- Weiterentwickeln der Cannabispolitik
- Stärken der Prävention bei Kindern und Jugendlichen
- Schliessen von Lücken beim Suchthilfe- und Suchtbehandlungsangebot
- Neue Massnahmen im Bereich des rekreativen Drogenkonsums
- Überprüfen der Sanktionierung des Betäubungsmittelkonsums
- Wahren der drogenpolitischen Interessen im internationalen Umfeld
Dokumente
Perspektiven der schweizerischen Drogenpolitik (PDF, 1 MB, 28.04.2021)Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats 17.4076 Rechsteiner Paul
Politikfeldanalyse der Schweizer Drogenpolitik: Debatten und Advocacy-Koalitionen 2008-2018 (PDF, 2 MB, 11.06.2021)Palmo Brunner, Daniel Kübler
Universität Zürich, Institut für Politikwissenschaft, 2019
Bericht THC-Grenzwerte im Strassenverkehr - Eine Literaturanalyse (PDF, 979 kB, 15.12.2020)Biranda Bucher et al.
Institut für Rechtsmedizin, Universität Basel, 2020
Politikfeldanalyse zur internationalen Drogenpolitik (PDF, 1 MB, 28.04.2021)auf Englisch
Jennifer Hasselgard-Rowe et al.
Groupement Romand d’Etudes des Addictions (GREA), 2019
Experten-Bericht: Stand und Entwicklungsszenarien in Bezug auf die medizinische Behandlung und klinische Forschung mit Halluzinogenen und MDMA (PDF, 994 kB, 29.04.2021)Matthias Liechti
Universitätsspital Basel (Klinische Pharmakologie und Toxikologie), 2019
Umsetzung des Betäubungsmittelgesetzes - Erfahrungen der Kantone und Zukunftsperspektiven (PDF, 1 MB, 28.04.2021)Stephanie Stucki et al.
Sucht Schweiz, 2019
Ordnungsbussen für Cannabiskonsum (PDF, 973 kB, 28.04.2021)französisch, Zusammenfassung auf Deutsch
Frank Zobel, Cécile Homberg, Marc Marthaler
Sucht Schweiz, 2017
Letzte Änderung 02.10.2024
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