Die Organspende einer lebenden Person muss sehr sorgfältig geplant und über mehrere Monate vorbereitet werden. Der typische Ablauf einer Lebendspende wird am folgenden, fiktiven Beispiel einer Nieren-Lebendspende von einer Mutter für ihre Tochter erläutert.
Annas Krankheit
Die einst fröhliche siebenjährige Anna hat seit Monaten selten wirklich Lust zu essen und zu trinken. Sie ist blass, mager und oft sehr müde. Der Kinderarzt hat bei ihr eine angeborene Stoffwechselstörung diagnostiziert, wegen der Annas Nieren immer weniger leisten. Seitdem muss Anna einen strengen Diätplan befolgen sowie Medikamente und Vitamine einnehmen.
Die Ursachen eines chronischen Nierenversagens bei Kindern sind vielfältig. Oft leiden die betroffenen Kinder unter angeborenen, teils erblichen Funktionsstörungen der Nieren oder unter Fehlbildungen der Nieren und des Harntraktes. Das Nierenleiden kann aber auch eine Folgeerscheinung von Entzündungen, Unfallverletzungen oder Tumoren sein. Das chronische Nierenversagen führt gerade bei Kindern zu speziellen Problemen vor allem im Bereich des Wachstums und der Knochenbildung. Dabei sind die Symptome eines langsamen Nierenfunktionsverlustes oft schwer zu erkennen – sie äussern sich bei Kindern unter anderem durch Müdigkeit, verminderte Leistungsfähigkeit, Appetitmangel, Blässe, Knochen-, Muskel- und Kopfschmerzen.
Annas Mutter will helfen
Annas Gesundheitszustand hat sich in den letzten Wochen stark verschlechtert. Sie fehlt oft in der Schule und mag sich kaum mehr mit ihren Freundinnen treffen oder mit ihrem fünfjährigen Bruder Max spielen. Der Kinderarzt hat Annas Eltern erklärt, dass von allen Therapien eine Nierentransplantation das Beste für ihr Kind wäre. Für Annas Mutter ist schon seit längerem klar, dass sie für ihre Tochter eine Niere spenden möchte. Sie weiss, dass eine Lebendspende mit Schmerzen und einem gewissen gesundheitlichen Risiko verbunden ist. Sie hat dies mit ihrem Mann besprochen; für ihren Entscheid ist schliesslich ausschlaggebend, dass für Anna eine Nierentransplantation die einzige langfristige Lösung darstellen kann. Die Eltern sind berufstätig und müssen mit ihren Arbeitgebern etliche Absprachen treffen. Für Annas Mutter ist es wichtig zu wissen, dass sich jemand zuhause um Max kümmern kann, während sie zu den medizinischen Vorabklärungen muss oder wenn sie für die Organspende im Spital ist. Die Grossmutter wird für diese Zeit bei ihnen wohnen.
Da sich Kinder in einer sensiblen Phase der geistigen, seelischen und körperlichen Entwicklung befinden, ist bei Kindern mit schweren Nierenerkrankungen oft eine Nierentransplantation die Therapie erster Wahl und nicht die Dialyse (siehe Glossareintrag in der rechten Spalte). Die Dialyse ist bei Kindern technisch schwierig durchzuführen und oft schmerzhaft. Zudem ist sie sehr zeitraubend, was die sozialen Kontakte des Kindes einschränken kann. Die Dialyse dient daher bei Kindern immer zur Überbrückung bis zur Nierentransplantation. Nach einer Transplantation kann sich der Körper weitgehend unbeeinträchtigt entwickeln, während dies bei der Dialyse nicht der Fall ist. Abklärung und Organisation einer Lebendspende können mehrere Monate in Anspruch nehmen. So sollte die Lebendnierenspende möglichst früh in Betracht gezogen werden – bei einem Kind am besten noch bevor es eine Dialyse benötigt.
Die Lebendnierenspende hat für das Kind Vorteile gegenüber der Nierenspende einer verstorbenen Person:
- Wird das Organ von einer blutsverwandten Person gespendet, ist die immunologische Übereinstimmung besser. Dadurch steigen die Überlebenschancen für das Organ.
- Eine lange Dialysezeit oder die Dialyse überhaupt kann vermieden werden (eine lange Dialysezeit vor einer Transplantation kann sich negativ auf das Überleben des transplantierten Organs auswirken).
- Der Eingriff ist besser planbar, sowohl in medizinischer als auch in psychologischer Hinsicht.
Die medizinischen Kosten, die bei einer Lebendspende anfallen – also Kosten für die Abklärung, Operation und Nachsorge der Spenderin oder des Spenders – werden von der Versicherung der Empfängerin bzw. des Empfängers (je nachdem von der Kranken-, Invaliden-, Unfall- oder Militärversicherung) bezahlt. Ebenso übernimmt die Versicherung die durch die Spende verursachten Verdienstausfälle der Spenderin oder des Spenders. Bei versicherungstechnischen Fragen hilft der Schweizerische Verband für Gemeinschaftsaufgaben der Krankenversicherer weiter. Für den Bezug der Erwerbsausfallentschädigung können hier die notwendigen Formulare heruntergeladen werden (siehe unter VBL/Transplantationen/ Kostengutspracheformulare). Zu beachten ist, dass für die medizinischen Abklärungen bei berufstätigen Spenderinnen und Spendern meist Ferien bezogen werden müssen, die von den Krankenkassen oft nicht übernommen werden. Auch hier bietet der SVK Hilfeleistungen an. Bei Problemen mit der Krankenkasse ist die Ombudsstelle Krankenversicherung eine Anlaufstelle. Informationen zum Thema Lebendspende finden sich auf der Website des Schweizerischen Lebendspenderegisters SOL/DHR. Viele potentielle Spenderinnen und Spender haben das Bedürfnis, vor der Spende Kontakt mit Menschen aufzunehmen, die bereits ein Organ gespendet haben. Solche Kontakte vermittelt der Lebendspender Verein SOLV-LN.
Wichtige Tests
Während eines mehrtägigen Spitalaufenthalts wird Anna untersucht; ihr Gesundheitszustand ist soweit stabil, dass er eine Nierentransplantation grundsätzlich zulässt. Annas Mutter unterzieht sich ihrerseits einem zweitägigen Gesundheitscheck, mit dem der gute Zustand ihrer Nieren bestätigt und für sie ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko durch ihre Nierenspende so gut wie ausgeschlossen werden kann. Im Laufe dieses Spitalaufenthalts klärt ein Arzt des Transplantationsteams Annas Mutter über die möglichen Folgen und Risiken des geplanten Eingriffs auf. Annas Mutter unterschreibt, dass Sie die Risiken kennt und freiwillig zur Spende bereit ist.
Damit eine Lebendspende überhaupt infrage kommt, müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein:
- Eine passende Spenderin oder ein passender Spender wird gefunden: Für eine Lebendspende kommen Personen in Frage, die gesund, volljährig und urteilsfähig sind. Ideal ist, wenn Gewebetyp und Blutgruppe zwischen Spenderin bzw. Spender und Empfängerin bzw. Empfänger möglichst übereinstimmen. Dies ist bei einer Spende durch Blutsverwandte in rund 30-40% der Fälle gegeben. Ist eine direkte Spende aufgrund einer Inkompatibilität nicht möglich, kann eine sogenannte Überkreuz-Lebendspende in Frage kommen.
- Einer Spende wird zugestimmt: Eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Lebendspende ist die Freiwilligkeit dieser Spende. Liebe, Nächstenliebe, Familienzugehörigkeit, Freundschaft und Verbundenheit sollten die Motivation für eine Spende sein. Druck, Schuldgefühle oder finanzielle Überlegungen müssen dabei ausgeschlossen werden können. Die Freiwilligkeit einer Einwilligung in eine Organspende wird mittels einer psychologischen Abklärung überprüft.
- Es dürfen keine gravierenden gesundheitlichen Risiken für die spendende Person bestehen: Einerseits darf es für die spendende Person langfristig kein zusätzliches Risiko geben, aufgrund der Spende schwer zu erkranken oder früher zu sterben. Mehr zu den Langzeitrisiken finden Sie unter Die Lebendspende von Organen. Andererseits darf die Operation zur Entnahme kein zu grosses Risiko darstellen. Natürlich gibt es die risikofreie Operation nicht. Doch das Risiko, an der Entnahmeoperation zu versterben oder Komplikationen infolge des Eingriffs zu entwickeln (beispielsweise Wundinfektionen, Harnwegsinfekte oder Thrombosen), muss klein sein.
Die Voraussetzungen der Organentnahme bei einer Lebendspende sind in Art. 12 des Transplantationsgesetzes festgehalten.
Zusammen ins Spital
Der Termin für die Transplantation steht schon seit einiger Zeit fest. Anna und ihre Mutter fahren einen Tag vor der geplanten Operation zusammen mit dem Taxi ins Spital. Anna muss an diesem Tag schon Medikamente einnehmen, die verhindern sollen, dass ihr Immunsystem die transplantierte Niere ihrer Mutter abstossen wird. Der für die Transplantation verantwortliche Chirurg bespricht mit den beiden nochmals den Ablauf der Operationen. Am nächsten Tag wird zuerst Annas Mutter in den Operationssaal gebracht, einige Zeit später dann Anna. Beide Operationen werden zeitlich überlappend durchgeführt. Annas Mutter wird nach der Operation wieder ins Spitalzimmer zurückgebracht, Anna wird auf die Intensivstation verlegt.
Die Zeit zwischen Entnahme und Transplantation muss bei einer Lebendspende möglichst kurz gehalten werden, da das Organ in dieser Zeit nicht durchblutet wird und es dadurch Schaden nehmen kann. Sobald das Organ ausserhalb des Körpers der Spenderin oder des Spenders ist, wird es mit einer kalten Konservierungsflüssigkeit durchspült und gekühlt. Die Operationen dauern zwischen zwei und vier Stunden.
Nach der Operation
Die anfänglichen Schmerzen, die Annas Mutter wegen der Operation verspürt, können mit Schmerzmitteln gemildert, aber nicht ganz beseitigt werden. Nach drei Tagen wird Anna von der Intensivstation zurück auf die Abteilung verlegt. Sie freut sich über den Besuch von Max mit der Grossmutter. Nach sechs Tagen kann Annas Mutter das Spital verlassen; Anna muss etwas länger bleiben. Die Ärzte überwachen, ob die transplantierte Niere gut funktioniert, und sie setzen die Dosis der Medikamente (Immunsuppressiva) fest, die Anna fortan wird einnehmen müssen. So oft sie können, besuchen Mutter, Grossmutter, Vater und Max Anna im Spital.
Wie bei allen Operationen kommt es auch nach einer Lebendnierenspende zu Schmerzen, woran auch neue Operationstechniken wenig geändert haben. Wundinfektionen und Blutergüsse sind eher selten. Nicht in allen Transplantationszentren liegen Spenderin bzw. Spender und Empfängerin bzw. Empfänger nach der Operation in einem Zimmer. Was der Wunsch vieler ist, kann auch ein Nachteil sein – wenn beispielsweise die Spenderin oder der Spender Schmerzen hat, kann dies Schuldgefühle oder Gewissensbisse auslösen.
Nach durchschnittlich sechs Tagen kann die Spenderin oder der Spender aus dem Spital entlassen werden. Mit schwerer körperlicher Arbeit sollte jedoch noch ein bis zwei Monate zugewartet werden. Erfahrungsgemäss haben sich Nierenspenderinnen und -spender nach ein bis zwei Monaten von der Operation erholt. Dennoch ist die Dauer des Genesungsprozesses sehr individuell. Ältere Spenderinnen oder Spender brauchen eine längere Erholungsphase nach der Spende. Wenn zuhause z.B. die Betreuung kleiner Kinder oder älterer Familienmitglieder ansteht, lohnt es sich, vorübergehend Hilfe von Verwandten, Bekannten oder von einer Haushaltshilfe in Anspruch zu nehmen. Auch der Wiedereinstieg in den Beruf kann sich je nach Verlauf des Genesungsprozesses hinauszögern. Frühzeitige Absprachen mit dem Arbeitgeber sind zu empfehlen.
Bei problemlosem Verlauf ist nach einer Lebendspende nur eine Nachkontrolle im Spital vorgesehen. Jede Lebendspenderin und jeder Lebendspender eines Organs hat Anrecht auf eine lebenslange Nachsorge. Die Kosten dafür werden von der Versicherung der Empfängerin oder des Empfängers mittels einer Pauschale entrichtet. Die Nachsorge wird durch das Schweizer-Organ-Lebendspender-Gesundheits-Register (SOL-DHR/SNO) sichergestellt. Es sorgt dafür, dass die Nachsorgeuntersuchungen beim Hausarzt regelmässig durchgeführt werden, dass der Gesundheitszustand der Lebendspenderinnen und Lebendspender längerfristig kontinuierlich überwacht wird und dass bei Komplikationen rechtzeitig interveniert werden kann.
Wiedersehen zuhause
Nach zwei Wochen ist Anna endlich wieder zuhause. Auch Annas Mutter muss sich in den nächsten Wochen körperlich noch schonen. Sie kümmert sich um Annas Betreuung und begleitet sie jeweils ins Spital zu ihrer wöchentlichen Kontrolluntersuchung. Später werden diese Untersuchungen nur noch in Abständen von rund drei Monaten notwendig sein. Vor allem freut sich Anna auf die Schule, die sie im nächsten Semester wieder besuchen wird. Bis dahin bringt ihr die Klassenlehrerin die Aufgaben nach Hause und sie erhält oft Besuch von ihren Freundinnen.
Der Heilungsprozess nach einer Organtransplantation verläuft sehr individuell. Ab wann die Kontrolluntersuchungen weniger häufig stattfinden können, die Arbeit wieder aufgenommen oder die Schule wieder besucht werden darf, hängt davon ab, wie rasch die Dosis an Immunsuppressiva und damit die Infektionsgefahr reduziert werden können. Zur Genesung nach einer Organtransplantation gehört nebst dem Heilungsprozess auch die psychische und soziale Wiedereingewöhnung in den Alltag. Es gilt, mit Ungewissheit und Ängsten sowie mit der lebenslangen Medikamenteneinnahme umzugehen. Dabei hilft vor allem das soziale Umfeld.
Eine Nierentransplantation kann in seltenen Fällen nicht das gewünschte Ergebnis bringen und das neue Organ wird abgestossen. Diese Situation ist gerade auch für die spendende Person und – im Falle einer Verwandtenspende – für die ganze Familie sehr belastend. Die Sozialarbeiterinnen oder -arbeiter des Transplantationszentrums stehen den Betroffenen zur Seite. Die nierenkranke Person wird vorübergehend an die Dialyse angeschlossen und auf die Warteliste für eine Niere von einer verstorbenen Person gesetzt.
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Schweizer Lebendspenderbroschüre
Letzte Änderung 21.02.2022
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