Die Organspende einer lebenden Person muss sorgfältig geplant und über mehrere Monate vorbereitet werden. Der typische Ablauf einer Lebendspende wird am fiktiven Beispiel einer Nieren-Lebendspende einer Mutter für ihre Tochter erläutert.
Annas Krankheit
Anna ist sieben. Seit Monaten hat sie selten wirklich Lust zu essen und zu trinken. Sie ist blass, mager und oft sehr müde. Der Kinderarzt hat bei ihr eine angeborene Stoffwechselstörung diagnostiziert, wegen der Annas Nieren immer weniger leisten. Seitdem muss Anna einen strengen Diätplan befolgen sowie Medikamente und Vitamine einnehmen.
Die Ursachen eines chronischen Nierenversagens bei Kindern sind vielfältig. Oft leiden die betroffenen Kinder unter angeborenen, teils vererbten Funktionsstörungen der Nieren oder unter Fehlbildungen der Nieren. Das Nierenleiden kann aber auch eine Folgeerscheinung von Entzündungen, Unfallverletzungen oder Tumoren sein.
Ein chronisches Nierenversagen führt bei Kindern oftmals zu Wachstumsstörungen und Störungen bei der Knochenbildung. Dabei sind die Symptome eines langsamen Nierenfunktionsverlustes oft schwer zu erkennen. Sie äussern sich bei Kindern unter anderem durch Müdigkeit, verminderte Leistungsfähigkeit, Appetitmangel, Blässe, Knochen-, Muskel- und Kopfschmerzen.
Annas Mutter will helfen
Annas Gesundheitszustand hat sich in den letzten Wochen stark verschlechtert. Sie fehlt oft in der Schule und mag sich kaum mehr mit ihren Freundinnen treffen oder mit ihrem jüngeren Bruder Max spielen. Der Kinderarzt hat Annas Eltern erklärt, dass von allen Therapien eine Nierentransplantation die Beste für ihr Kind wäre.
Für Annas Mutter ist schon seit längerem klar, dass sie für ihre Tochter eine Niere spenden möchte. Erste Tests haben ergeben, dass sie immunologisch passend ist und deshalb tatsächlich eine Niere an ihre Tochter spenden kann. Sie weiss, dass eine Lebendspende mit Schmerzen und einem gewissen gesundheitlichen Risiko verbunden ist; sie hat dies mit ihrem Mann besprochen. Für ihren Entscheid ist schliesslich ausschlaggebend, dass für Anna eine Nierentransplantation die einzige langfristige Lösung darstellt.
Die Eltern sind berufstätig und müssen mit ihren Arbeitgebern etliche Absprachen treffen. Für Annas Mutter ist es wichtig zu wissen, dass sich jemand zuhause um Max kümmern kann, während sie zu den medizinischen Vorabklärungen geht oder wenn sie für die Organspende im Spital ist. Die Grossmutter wird für diese Zeit bei ihnen wohnen.
Nierentransplantation oder Dialyse?
Kinder befinden sich in einer sensiblen Phase der kognitiven, emotionalen und körperlichen Entwicklung. Deshalb ist bei schwer nierenkranken Kindern die Nierentransplantation oft die Therapie der Wahl und nicht die Dialyse.
Die Dialyse ist bei Kindern technisch schwierig durchzuführen und oft schmerzhaft. Zudem ist sie sehr zeitraubend, was die sozialen Kontakte des Kindes einschränken kann. Die Dialyse dient daher bei Kindern immer nur zur Überbrückung bis zur Nierentransplantation.
Nach einer Transplantation kann sich der Körper weitgehend unbeeinträchtigt entwickeln, während dies bei der Dialyse nicht der Fall ist. Abklärung und Organisation einer Lebendspende können mehrere Monate in Anspruch nehmen. So sollte die Lebendnierenspende möglichst früh in Betracht gezogen werden – bei einem Kind am besten noch bevor es eine Dialyse benötigt.
Vorteile der Lebendnierenspende bei Kindern
Grundsätzlich kann einem Kind eine Niere einer lebenden oder einer verstorbenen Spenderin oder eines Spenders transplantiert werden. Für das Kind hat aber die Transplantation einer Niere von einer lebenden Person Vorteile:
- Wird das Organ von einer blutsverwandten Person gespendet, ist die immunologische Übereinstimmung besser. Dadurch steigen die Chancen, dass das Organ vom Körper des Kindes angenommen wird.
- Durch eine frühzeitige Transplantation ist das Kind nicht oder nur für kurze Zeit auf eine Dialyse angewiesen. Eine lange Dialysezeit vor einer Transplantation kann sich negativ auf die Entwicklung des Kindes auswirken und auch das Überleben des transplantierten Organs beeinträchtigen.
- Der Eingriff ist besser planbar, sowohl in medizinischer als auch in psychologischer Hinsicht.
Kosten einer Nieren-Lebendspende
Die medizinischen Kosten, die bei einer Lebendspende anfallen werden von der Krankenversicherung der Empfängerin bzw. des Empfängers bezahlt. Dies beinhaltet alle Kosten für die Abklärung, Operation und Nachsorge der Spenderin oder des Spenders. Ebenso übernimmt die Versicherung die durch die Spende verursachten Erwerbsausfälle der Spenderin oder des Spenders.
Weitere Informationen zu den finanziellen Aspekten der Lebendspende finden sich auf der Website des Schweizer Lebendspende-Gesundheitsegisters SOL-DHR und in der Schweizer Lebendspenderbroschüre.
Wichtige Tests für Anna und ihre Mutter
Während eines mehrtägigen Spitalaufenthalts wird Anna untersucht; ihr Gesundheitszustand ist stabil und lässt eine Nierentransplantation grundsätzlich zu.
Annas Mutter unterzieht sich ihrerseits einem zweitägigen Gesundheitscheck, mit dem der gute Zustand ihrer Nieren und ihrer Gesundheit bestätigt wird. Aus medizinischer Sicht spricht somit nichts gegen eine Nierenspende.
Im Laufe dieses Spitalaufenthalts klärt ein Arzt des Transplantationsteams Annas Mutter über die möglichen Folgen und Risiken des geplanten Eingriffs auf. Annas Mutter unterschreibt, dass Sie die Risiken kennt und freiwillig zur Spende bereit ist.
Voraussetzungen für eine Lebendspende
Damit eine Lebendspende überhaupt infrage kommt, müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein:
- Eine passende Spenderin oder ein passender Spender wird gefunden: Für eine Lebendspende kommen Personen in Frage, die gesund, volljährig und urteilsfähig sind. Ideal ist, wenn Gewebetyp und Blutgruppe zwischen Spenderin bzw. Spender und Empfängerin bzw. Empfänger möglichst übereinstimmen. Dies ist bei einer Spende durch Blutsverwandte in rund 30 bis 40 Prozent der Fälle gegeben. Ist eine direkte Spende aufgrund einer Inkompatibilität nicht möglich, kann eine sogenannte Überkreuz-Lebendspende in Frage kommen.
- Einer Spende wird zugestimmt: Eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Lebendspende ist die Freiwilligkeit dieser Spende. Liebe, Nächstenliebe, Familienzugehörigkeit, Freundschaft und Verbundenheit sollten die Motivation für eine Spende sein. Druck, Schuldgefühle oder finanzielle Überlegungen müssen dabei ausgeschlossen werden können. Die Freiwilligkeit einer Einwilligung in eine Organspende wird mittels einer psychologischen Abklärung überprüft.
- Es dürfen keine gravierenden gesundheitlichen Risiken für die spendende Person bestehen: Deshalb wird die Person vor der Spende gründlich untersucht. Sie kommt nur dann für eine Spende infrage, wenn das Risiko möglichst klein ist, dass während der Entnahme Komplikationen auftreten oder dass sich Jahre später Beschwerden entwickeln. Welche Risiken bei einer Lebendspende bestehen, zeigt die Schweizer Lebendspender-Broschüre.
Zusammen ins Spital
Der Termin für die Transplantation steht schon seit einiger Zeit fest. Anna und ihre Mutter fahren einen Tag vor der geplanten Operation zusammen ins Spital. Anna muss an diesem Tag schon Medikamente einnehmen, die verhindern sollen, dass ihr Immunsystem die transplantierte Niere ihrer Mutter abstossen wird. Der für die Transplantation verantwortliche Chirurg bespricht mit den beiden nochmals den Ablauf der Operationen.
Am nächsten Tag wird zuerst Annas Mutter in den Operationssaal gebracht, einige Zeit später dann Anna. Beide Operationen werden zeitlich überlappend durchgeführt. Annas Mutter wird nach der Operation wieder ins Spitalzimmer zurückgebracht, Anna wird auf die Intensivstation verlegt.
Die Zeit zwischen der Entnahme und der Transplantation muss bei einer Lebendspende möglichst kurz sein, da das Organ in dieser Zeit nicht durchblutet wird und es dadurch Schaden nehmen kann. Die Operationen für die Entnahme und die Transplantation dauern zwischen zwei und vier Stunden.
Nach der Operation
Die anfänglichen Schmerzen, die Annas Mutter wegen der Operation verspürt, können mit Schmerzmitteln gemildert, aber nicht ganz beseitigt werden.
Nach drei Tagen wird Anna von der Intensivstation zurück auf die Abteilung verlegt. Sie freut sich über den Besuch von Max mit der Grossmutter.
Nach sechs Tagen kann Annas Mutter das Spital verlassen; Anna muss etwas länger bleiben. Die Ärzte überwachen, ob die transplantierte Niere gut funktioniert und sie setzen die Dosis der Medikamente (Immunsuppressiva) fest, die Anna fortan einnehmen muss. So oft sie können, besuchen Mutter, Vater, Grossmutter und Max Anna im Spital.
Der Genesungsprozess im Spital
Wie bei allen Operationen kommt es auch nach einer Lebendnierenspende zu Schmerzen, woran auch neue Operationstechniken wenig geändert haben. Wundinfektionen und Blutergüsse sind jedoch eher selten.
Nicht in allen Transplantationszentren liegen Spenderin bzw. Spender und Empfängerin bzw. Empfänger nach der Operation in einem Zimmer. Was der Wunsch vieler ist, kann auch ein Nachteil sein; wenn beispielsweise die Spenderin oder der Spender Schmerzen hat, kann dies Schuldgefühle oder Gewissensbisse auslösen.
Der Genesungsprozess zu Hause
Nach durchschnittlich sechs Tagen kann die Spenderin oder der Spender aus dem Spital entlassen werden. Mit schwerer körperlicher Arbeit sollte jedoch noch ein bis zwei Monate zugewartet werden. Erfahrungsgemäss haben sich Nierenspenderinnen und -spender nach ein bis zwei Monaten von der Operation erholt.
Dennoch ist die Dauer des Genesungsprozesses sehr individuell. Ältere Spenderinnen oder Spender brauchen eine längere Erholungsphase nach der Spende. Wenn zuhause zum Beispiel die Betreuung kleiner Kinder oder älterer Familienmitglieder ansteht, lohnt es sich, vorübergehend Hilfe von Verwandten, Bekannten oder von einer Haushaltshilfe in Anspruch zu nehmen. Auch der Wiedereinstieg in den Beruf kann sich je nach Verlauf des Genesungsprozesses hinauszögern. Frühzeitige Absprachen mit dem Arbeitgeber sind zu empfehlen.
Das Recht auf lebenslange Nachsorge
Bei problemlosem Verlauf ist nach einer Lebendspende nur eine Nachkontrolle im Spital vorgesehen. Jede Lebendspenderin und jeder Lebendspender eines Organs hat jedoch Anrecht auf eine lebenslange Nachsorge. Die Kosten dafür werden von der Versicherung der Empfängerin oder des Empfängers mittels einer Pauschale entrichtet. Die Nachsorge wird durch das Schweizer Lebendspender-Gesundheitsregister SOL-DHR sichergestellt. Es sorgt dafür, dass die Nachsorgeuntersuchungen beim Hausarzt regelmässig durchgeführt werden, dass der Gesundheitszustand der Lebendspenderinnen und Lebendspender längerfristig kontinuierlich überwacht wird und dass bei Komplikationen rechtzeitig interveniert werden kann.
Wiedersehen zuhause
Nach zwei Wochen ist Anna endlich wieder zuhause. Sie und ihre Mutter müssen sich in den nächsten Wochen körperlich noch schonen. Trotzdem kümmert sich Annas Mutter gemeinsam mit ihrem Ehemann um Annas Betreuung. Sie begleiten sie jeweils ins Spital zu ihrer wöchentlichen Kontrolluntersuchung. Später werden diese Untersuchungen nur noch in Abständen von rund drei Monaten notwendig sein. Vor allem freut sich Anna auf die Schule, die sie im nächsten Semester wieder besuchen wird. Bis dahin schickt ihr die Klassenlehrerin die Aufgaben per E-Mail und sie erhält oft Besuch von ihren Freundinnen.
Individueller Heilungsprozess
Der Heilungsprozess nach einer Organtransplantation verläuft sehr individuell. Ab wann die Kontrolluntersuchungen weniger häufig stattfinden können, die Arbeit wieder aufgenommen oder die Schule wieder besucht werden darf, hängt davon ab, wie rasch die Dosis an Immunsuppressiva und damit die Infektionsgefahr reduziert werden kann.
Zur Genesung nach einer Organtransplantation gehört nebst dem Heilungsprozess auch die psychische und soziale Wiedereingewöhnung in den Alltag. Es gilt, mit Ungewissheit und Ängsten sowie mit der lebenslangen Medikamenteneinnahme umzugehen. Dabei hilft vor allem das soziale Umfeld.
Wenn die Nierentransplantation nicht erfolgreich ist
Eine Nierentransplantation kann in seltenen Fällen nicht das gewünschte Ergebnis bringen und das neue Organ wird abgestossen. Diese Situation ist gerade auch für die spendende Person und – im Falle einer Verwandtenspende – für die ganze Familie sehr belastend. Die Sozialarbeiterinnen oder -arbeiter des Transplantationszentrums stehen den Betroffenen zur Seite. Die nierenkranke Person wird vorübergehend an die Dialyse angeschlossen und auf die Warteliste für eine Niere von einer verstorbenen Person gesetzt.
Links
Schweizer Lebendspenderbroschüre
Letzte Änderung 22.01.2025
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